Weltknöpfe, Golftorten und andere Phänomene

Von Miriam Bers

Die erste Golftorte entstand 1994 in Büsum, dem Geburtsort Gois. Ihr folgten eine Reihe weiterer quadratischer, aber auch ovaler (sog. Weltschilde) und runder (sog. Weltknöpfe) Tafelbilder und Bildobjekte. Sie stehen im Kontext eines ausgesprochen vielschichtigen Werks, das die Bereiche Performance, Video und Installation ebenso umfaßt wie Architektur und Environments.

Oberbegriff für dieses kontinuierlich anwachsende und vom Künstler als Gesamt- und Lebenskunstwerk verstandene Uvre ist der sog. Goi-Komplex (1). Er beinhaltet sämtliche Produktionen des Künstlers und besteht aus diversen Modulen und Plateaus, die auf immer wieder neue Art und Weise zusammengesetzt und verschoben werden können. Jedes Modul symbolisiert eine Arbeitsphase, an die der Künstler jederzeit anknüpfen und die er erweitern kann.

Außer einer sich daraus ergebenden Chronologie tauchen innerhalb des Komplexes keine hierarchischen Ordnungen auf „Ein Plateau ist immer Mitte, hat weder Anfang noch Ende. Ein Rhizom besteht aus Plateaus“ (2). „Ein Rhizom hat weder Anfang noch Ende, es ist immer in der Mitte, zwischen den Dingen, ein Zwischenstück, Intermezzo.“ (3).

Was Deleuze hier der Botanik entlehnt und auf die Literatur (4) bezieht, kann auf die Kunst projiziert werden. Er kritisiert im selbem Zusammenhang westliches Denken, das seiner Auffassung nach mit Verlust an Spontaneität und Intuition einhergeht, das „…Gefühlsäußerungen und Handlungen auf äußere oder transzendente Ziele… (bezieht), anstatt sie auf einer Immanenzebene nach ihrem eigenen Wert einzuschätzen“ (5).

Im Goi-Komplex verschmelzen schöpferischer Ausdruck und Leben des Künstlers miteinander. Dies geschieht spontan, fast automatisch, allerdings nicht unreflektiert, oft mit humoristischem Unterton. So ist z.B. die Fotoarbeit Vermeer. Künstler und Modell einem Gemälde Vermeers nachempfunden. Auf dem Foto sitzt Goi als Rückenfigur an einem Tisch seines Arbeits- bzw. Privatraumes, die Freundin (das Modell) steht wie bei Vermeer am Fenster, im Raum befinden sich Bilder, Objekte und diverse Arbeitsmaterialien. Gois Ambiente ist, anders als das des Delfter Künstlers, poppig und erinnert hier an Interieurs der 70er Jahre (6).

Trotz thematischer Vielfalt und der Verwendung unterschiedlicher Medien fällt auf, daß der Künstler die Bildwelten, auf die er sich bezieht, seinem eigenen (Lebens) Stil anpaßt. Paradox erscheint die Mischung aus – beinahe kindlicher (7) – Phantasie und Kalkül, die sich jedoch als Spezifikum seiner Arbeit und als herausragende Fähigkeit des Künstlers erweist. Das Aufgreifen von Bildern aus der Kunst- und Architekturgeschichte, der Werbung und des Comics machen sein Werk heterogen. Er selbst nimmt dabei – als multiple Künstlerpersönlichkeit – unterschiedlichste Rollen ein (8). Diese werden den verschiedenen Werkphasen zugeordnet.

Sein aktuelles, seit 1999 gültiges alter ego heißt Pop-Eye the Egghead. Die auch als Augenkünstler (9) bekannte Figur löst andere fiktive Persönlichkeiten ab (siehe Anm.5, auch Abb….) Sie ist der Bildserie Weltknöpfe, Weltschilde und Golftorten zugeordnet, deren reliefartige Oberflächen mit Wackelaugen oder Flummis und Golfbällen versehen sind, denen er Pupillen aufmalt. Dadurch wirken die eigentlich ungegenständlichen Bilder plötzlich wie Lebewesen. Vor dem Auge des Betrachters entstehen Figurinen. Auch hier ist die Bildordnung, Prinzip des gesamten Goi-Komplexes, ohne Hierachie. Flummis und Perlen, die in die pastosen Farbwülste eingearbeitet sind, assoziieren die Welt der Kinder und des Comic. Die Wülste selbst entspringen Naturbeobachtungen des Künstlers. In der Golftorte oder im Weltschild reflektiert er Wege und Dörfer seiner Heimat. Insbesondere ist er vom Wattenmeer und den ´Grabungen` der Wattwürmer inspiriert, über die Goi sagt, daß sie psychedelische Bilder evozieren. Hingegen scheinen die gleichmäßig aufgetragenen Tupfen, die die kreis-und schlangenförmig verlaufenden Farbspuren dekorativ zieren, ganz anderer Herkunft zu sein; auch vermitteln die kräftigen Grün-, Rot- und Gelbtöne, die von hellblauen, rosafarbenen und schwarzen Flächen durchbrochen sind, nicht das Licht und die Farben norddeutscher Landschaften.
Eher ähneln sie der Punktmalerei der Aborigines mit ihrer jeweils an einen Stamm gebundenen story. Die von Goi kreierten Farbkompositionen sowie ihre Intensität treten wiederum konzentriert in der Popkultur auf.

All die Bildwelten, die hier in jedem einzelnen Weltknopf oder jeder einzelnen Golftorte und den Weltschilden konvergieren, erzählen von der Freiheit des Reisens im Kopf. Lösgelöst vom Goi-Komplex und seinen zahlreichen Mikrokosmen zeigen sie die ganze Welt.

Der Kreis bei Goi (10), dessen symbolische Konnotation – die der Einheit und des Absoluten – er durchaus mitdenkt, findet im Weltknopf auf spielerische Art und Weise seinen Höhepunkt. Auch das Auge ist in diesem geistigen Zusammenhang zu sehen, als Symbol für geistiges Sehen, also für das Erkennen.

Charakteristisch für Goi ist, im Bewußtsein dieser kulturhistorischen Komponenten zu agieren und sie ironisch-heiter in sein Werk zu integrieren. Die auffällig – grellen Farben und die vielen Augen, die aus den Bildern schauen, werden schnell zu einem Augenmeer. Auf der Golftorte mutieren die Farbwülste zu Tentakeln und das Bild beginnt, sich zu bewegen…

Der Augenkünstler, Pop-Eye, the Egghead wendet sich seinen Arbeiten zu (Abb….), gleichzeitig betrachtet das Gesicht auf seinem Hinterkopf den Zuschauer und…lächelt aus dem Bild.

  1. Der sog. Goi-Komplex ist eine rhizomartig anwachsende Architektur, die aus Holzplatten gefertigt wird. Sie besteht aus einzelnen Räumen, die durch Übergänge miteinander verbunden sind. Jedem Raum ist eine künstlerische Phase zugeordnet.
  2. Gilles Deleuze/Félix Guattari, Tausend Plateaus: Kapitalismus und Schizophrenie, Berlin, 1997, S.37
  3. ebda., S.41
  4. Deleuze hält dem herkömmlichen Buch, das aus Kapiteln besteht und somit Höhe- und Schlußpunkte hat, das Modell eines Buches mit Plateaus entgegen, die wie Neuronen im Gehirn über Mikrofasern miteinander kommunizieren.
  5. ebda., S.37
  6. Die 70er Jahre-Einrichtung ist speziell der Bernd Haß-Phase zugeordnet.
  7. In diesem Zusammenhang sei auf Jean Dubuffet und die Art brut verwiesen, die die spontanen, unreflektierten, sich aus dem Unbewußten nährenden künstlerischen Ausdrucksformen von Geisteskranken, Kindern oder Laienmalern als schöpferische, wahre Kunst proklamierten und ihre Stilelemente bewußt in die eigene Arbeit integrierten.
  8. Die multiple Künstlerpersönlichkeit ist von 1992 bis heute in 7 Phasen unterteilt. Zu ihr gehörten u.a. der Zitronenmann (1992 –93, Goi mit gelbem Schutzanzug, dem sog. Nervenkostüm), Schrumpfgoi‘ (1993-94, der Künstler befindet sich in einer Phase der Besinnung. Dabei hockt er auf einem skate-board in einem von ihm inszenierten Wohnraum. Mütze, aufgeklebte Nase und um den Mund befestigtes Tesa-Krepp lassen ihn als bedauernswerte Figur erscheinen) oder Bernd Haß, der Malerfreak (1998-2000; malt psychedelische Bilder, wird von der Welt nicht verstanden). Sie alle sind unterschiedlichen Werkzyklen zugeordnet, fotografische und filmische Dokumentationen sind im dazugehörigen Raummodul zu finden.
  9. Desweiteren entsteht der sog. Augenraum, ein weiteres Modul des Goi-Komplexes. In ihm finden die Weltknöpfe, Golftorten und Weltschilde Platz.
  10. In Form von Bällen oder als Bildform, dem Tondo.